Interview aus "Die Welt", 15.02.2012. Autor: Heimo Schwilk | 06:39
"Ich hätte wie Jünger gehandelt"
Volker Schlöndorff über seinen Film "Das Meer am Morgen", der
die Geschichte einer Geiselerschießung zur Zeit der deutschen Besatzung in
Frankreich erzählt.
Als Volker Schlöndorffs Film "Das Meer am Morgen" erstmals beim Filmfestival
in Biarritz gezeigt wurde, löste er beim Publikum Erschütterungen aus, es gab
Tränen und danach stehenden Applaus. Der Film erzählt die Geschichte des jungen
Kommunisten Guy Môquet, der 1941, zur Zeit der deutschen Besatzung in
Frankreich, zu den 50 Geiseln gehörte, die nach einem Attentat auf einen
deutschen Offizier zur Vergeltung erschossen wurden. Die Filmhandlung erhält
eine pikante Note dadurch, dass Schlöndorff den Schriftsteller Ernst Jünger, von
1941 bis 1944 als Offizier im deutschen Militärhauptquartier in Paris tätig,
auftreten lässt (gespielt von Ulrich Matthes). Jünger hatte auf Anordnung des
Militärbefehlshabers von Stülpnagel eine Dokumentation der Geiselerschießungen
verfasst und die Abschiedsbriefe der Hingerichteten übersetzt. "Das Meer am
Morgen" wird bei der Berlinale außerhalb des Wettbewerbs gezeigt.
Aus "One Man's War" (La guerre d'un seul homme, 1983) - von Edgardo Cozarinsky. |
Die Welt: Herr Schlöndorff, was halten die Franzosen davon, dass
ausgerechnet ein deutscher Filmregisseur die Geschichte der Geiselerschießungen
erzählt?
Volker Schlöndorff: Es war ja ein französischer Journalist, der mir
ein Buch zu diesem Thema gegeben hat mit der Bitte, ich soll etwas darüber
machen. Ich war sofort emotional gepackt und habe entschieden, den Film zu
drehen. Ich wollte die Geschichte allerdings erst einmal den Deutschen erzählen.
So wie Marc Rothemund den Fall Sophie Scholl den Ausländern nahebringen wollte,
so möchte ich, gerade als Partner des deutsch-französischen Senders Arte, den
Fall des jungen Kommunisten Guy Môquet den Deutschen erzählen. Es gibt eine
psychische Energie, die von starken Emotionen ausgeht, die sich dann im Film
wiederfindet. Diese Energie hat die Lektüre des Buches bei mir ausgelöst.
Die Welt: Gab es eine Schlüsselszene, die Sie bei der Lektüre
bewegte?
Volker Schlöndorff: Ja, das war die Stunde, in der die Verurteilten
zusammensitzen und auf ihren Tod warten. Sie dürfen noch Abschiedsbriefe
schreiben, und ich habe die Szene als vielstimmigen Gesang inszeniert.
Die Welt: Die Verurteilten sterben alle mit Haltung, ja Größe.
Volker Schlöndorff: Was schreiben die Verurteilten in ihren Briefen?
Der eine klagt, dass man nicht mehr gemeinsam Pilze suchen kann, ein anderer,
dass man nicht mehr zusammen singen werde. Also ganz einfache Dinge, nichts
Metaphysisches, keine "letzten Worte", keine Philosophie. Gott kommt sowieso
nicht vor, weil alle Atheisten sind und keiner bereit ist, zu beichten oder vom
Priester eine letzte Tröstung anzunehmen. In Kriegszeiten werden Menschen in
extreme Situationen gestellt, die es sonst nicht gibt. Das sind seit Shakespeare
die großen Dramen, in denen auch kleine Leute zu Helden großer Taten werden. Das
lohnt sich immer wieder zu erzählen. Ich feiere, das klingt jetzt pathetisch,
tatsächlich die Größe des Menschen, seinen Mut und den ungebrochenen Glauben an
eine bessere Welt. Das Filmprojekt hat auch mir selbst unendlich viel gegeben.
Beim Schreiben des Drehbuchs war ich oft zu Tränen gerührt. Alles inszenierte
sich wie von selbst, auch die Arbeit mit den deutschen Schauspielern, mit Jacob
Matschenz oder mit Ulrich Matthes, der Ernst Jünger spielt, war wunderbar.
Die Welt: Sind Sie mit der Darstellung der deutschen Soldaten
zufrieden? Der die Hinrichtung kommandierende Offizier hat doch etwas
Klischeehaftes, einmal ist er eiskalt, dann wieder hysterisch lachend oder
jovial.
Volker Schlöndorff: Unsere Wahrnehmung dieser Zeit hat sich sehr
verändert. Ich bespreche mich natürlich mit Ratgebern, hatte einen deutschen und
einen französischen General im Ruhestand. Man kann sich heute gar nicht mehr
vorstellen, wie unpersönlich der Ton damals in der Armee war. Die gefangenen
Franzosen im Lager unterhielten sich sicher wie meine Bühnenarbeiter in der
Kaffeepause. Deutsches Militär zu Zeiten des Dritten Reiches darzustellen ist
jedoch sehr schwer. Ich habe mich deshalb an Beschreibungen von Heinrich Böll
und Ernst Jünger gehalten. Trotzdem wirken manche Figuren tatsächlich wie
Karikaturen, zum Beispiel der junge Offizier, der mit sich überschlagender
Stimme schreit. Er ist eben so, wie ihn Böll in seiner Erzählung "Vermächtnis"
beschrieben hat. Dazu kommt, dass Konstantin Frolov, der ihn spielt, ein
Temperament in dieser Richtung hat.
Die Welt: Haben Sie Ernst Jünger als Autor erst bei der Arbeit an
diesem Film entdeckt?
Volker Schlöndorff: Als ich 1978 den Film "Der Fangschuss" gemacht
habe, las ich Jüngers "In Stahlgewittern". Die Hauptfigur des Films, ein
preußischer Offizier des Ersten Weltkriegs, gespielt von Matthias Habich, war
direkt von Jünger inspiriert. Die Grabenkriegsszenen des Films sind alle Jüngers
Kriegsbuch entnommen. Ernst Jünger ist mir als Figur aber erst richtig durch die
Lektüre des großartigen Tagebuchs "Gärten und Straßen" nahegekommen. Ich kann
mir vorstellen, dass ich in diesen Zeiten als Offizier ähnlich gefühlt und
gehandelt hätte. Jüngers Umgang mit Frauen und Künstlern wie mit den Generälen
im Pariser Stab, das Hin und Her zwischen Privatem und Dienstlichem ist in den
"Strahlungen" eindrucksvoll dargestellt.
Die Welt: Jüngers Geliebte "Charmille" tritt bei Ihnen als Sängerin
auf. Dabei war sie eine Lehrerin, deren jüdischer Ehemann in einem Lager in
Deutschland interniert war.
Volker Schlöndorff: Man hat mir geraten, die Salonszene aus dem Film
herauszunehmen, aber ich habe kurzerhand entschieden, sie drin zu lassen. Sie
ist wichtig als Kontrast zu den Szenen mit den Gefangenen. In dem kurzen Dialog
zwischen Jünger und Charmille wird ja klar, dass es sich um eine amouröse
Freundschaft handelt.
Die Welt: Auf den Hinweis Jüngers im Film, seine Uniform verpflichte
ihn, anderen Schutz zu gewähren, antwortet Charmille sinngemäß: Was denn die
Uniform geholfen habe bei den Geiselerschießungen und Deportationen? Sie
verwehren Jünger die Antwort, er verstummt. Aber tatsächlich hat er, wie der
Pariser Schriftsteller Joseph Breitbach nach 1945 berichtete, der Résistance
Hinweise über geplante Razzien zukommen lassen und damit Menschenleben
gerettet.
Volker Schlöndorff: Jünger meinte aber auch, dass er sich nicht
berufen fühle, ins Rad der Geschichte zu greifen. Das hat er den Widerständlern
gesagt, die ihn aufforderten, Hitler zu erschießen, wenn dieser nach Paris
kommt. Abgesehen von der ganz eigenen Rolle Jüngers interessierte mich bei der
Konzeption des Films die Tötung von Menschen als Verwaltungsakt, das
Zusammenspiel von französischen Behörden und deutschem Militär. Alle gingen
völlig in ihren Funktionen auf. Insofern ist der Film zweischneidig: Zum einen
ist er ein Denkmal für den tapferen Guy Môquet, aber zugleich wird die
französische Verstrickung in die mörderischen Vorgänge deutlich. Jünger notiert
im Tagebuch, dass General Otto von Stülpnagel sich schuldig mache, ob er nun
handle oder nicht. Das galt natürlich auch für die französische Seite.
Die Welt: Dort ist inzwischen eine hitzige Diskussion entbrannt. Ihnen
wird Geschichtsklitterung und Relativierung der Schuld vorgeworfen.
Volker Schlöndorff: Das Gegenteil ist wahr. Indem ich Klischees
verweigere, aus jedem Täter einen Menschen mache, bekenne ich mich zu einer
gesamteuropäischen Historie.
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