Aus der Wochenzeitung Freitag:
Rauschzustand | 15.05.2012 | Sebastian Dörfler
Hauptsache, es knallt!
Krieg war ihm nicht alles: Ernst Jünger experimentierte auch mit Drogen – zusammen mit dem LSD-Erfinder Albert Hofmann.
In Afrika sollte alles besser werden. Mit 18 Jahren meldete sich Ernst Jünger bei der französischen Fremdenlegion und reiste in den Kontinent, der von der ihm verhassten Zivilisation noch verschont geblieben schien. Hier musste es noch sein, das Wunderbare, das Magische – das Leben, das Wissenschaft, Technik und Maschinen zu Hause auf ein bloßes Funktionieren reduziert hatten. In Afrika erwartete Jünger das Besondere, und zwar in jeder Ritze. In Algerien angekommen setzte er sich vor den ersten Steinhaufen. Mindestens eine goldene Schlange werde sich schon zeigen, hoffte er. Er wartete, bis es dunkel wurde. Doch es passierte nichts. Der Steinhaufen in Afrika unterscheidet sich nicht von dem in der Lüneburger Heide, hält Jünger in seiner Erzählung Afrikanische Spiele enttäuscht fest – „so begann ich mich zu langweilen.“
Wenige Wochen später wurde Jünger entlassen, kehrte zurück nach Deutschland, zog in den Krieg und suchte von nun an im Kampf die letzten Kontaktstellen mit dem Absoluten in einer von der Technik entzauberten Welt. Diese Suche ist bekannt und bestimmt das Bild von Jünger bis heute. Weniger bekannt ist, dass Jünger noch auf anderem Weg versuchte, dem Steinhaufen Leben einzuhauchen. Als er nämlich Ende der sechziger Jahre wegen seines Bellizismus in die Kritik kam, tummelte er sich längst auf einem anderen Schlachtfeld. Im Jahr 1970 notierte er in sein Tagebuch: „Die Drogenszene. Ein Vorpostengefecht mit enormen Verlusten; hier fehlt ein Clausewitz.“ Soeben war sein Buch Annäherungen: Drogen und Rausch erschienen, mit dem er dieser Clausewitz werden und dem Leser einen „Blick aufs Unendliche“ gewähren wollte, nachdem Jünger zeitlebens auf der Suche gewesen ist – ob im Krieg oder nun im Reich der Drogen.
Was für einen Blick Jünger damit meinte, hat bisher auch deshalb keiner untersucht, weil Erkenntnisse auf dem Weg dahin über sein ganzes Werk verstreut sind. Man wusste, dass Jünger ein interessanter Fall ist, weil in ihm die zwei Arten, auf die sich Literatur mit Drogen beschäftigen kann, zusammenfallen: Jünger thematisierte Drogenerfahrungen nicht nur in seinen Erzählungen, er nutzte sie auch, um produktiver schreiben zu können. Auch war bekannt, dass der Schweizer LSD-Entdecker Albert Hofmann in Jüngers Drogenkarriere eine wichtige Rolle spielte. Anhand von zwei Büchern lässt sich jetzt zeigen, wie der Drogenrausch für Jünger zur Grenzerfahrung mit anderen Mitteln wurde.
Der Retter Opium
Die zwei Werke könnten unterschiedlicher kaum sein. Zum einen ist da Michael Anthony Eves’ Dissertation Jüngers Drogenerfahrungen. Nahezu rauschhaft wird in dem Buch versucht, die Philosophiegeschichte, die Rolle der Drogen in der menschlichen Kulturgeschichte, dazu die politischen Entwicklungen in Jüngers Zeit zusammenzuführen. Es wird viel nacherzählt und angedeutet, und doch geht gelegentlich der Faden verloren. Zum anderen ist da Albert Hofmann und sein LSD von Dieter Hagenbach und Lucius Werthmüller, ein nahezu enzyklopädischer Überblick über Leben und Werk Hofmanns, die Geschichte seines „Sorgenkindes“ LSD und die globale kulturelle Wirkung der Droge.
Rausch ist nicht gleich Rausch, macht Eves zu Beginn klar. Anders als ein Liebes- oder Erfolgsrausch ist der Drogenrausch ein „biotischer Zustand“, er verändert Hirnstoffwechsel, Kognition und Verhalten – je nach Droge, Verfasstheit des Konsumenten und den äußeren Einflüssen. Rauscherfahungen dieser Art bestimmten Jüngers Leben. Zu Beginn war es die Verbindung von Literatur und Alkohol. Die Schule war Stumpfsinn, verglichen mit Jüngers nächtlichen Ausflügen: „Im Wohnzimmer stand der Hackländer, elegant gebunden, auch war da ein Sofa und ein Service mit einer Arrak- und einer Rumflasche. Das Fest konnte beginnen.“ So beschrieb Jünger die Freuden seines 12. Lebensjahres. Und formulierte hier bereits den Gedanken, der ihn das restliche Leben umtreiben sollte: „Vielleicht konnte man überhaupt den Faden verlieren, durch den man mit all dem so dürftig zusammenhing.“
Auf der Suche nach dem Faden begann Jünger in Burschenschaften „methodisch zu trinken“, ehe ihn der Krieg packte „wie ein Rausch“. Doch in den Gräben an der Westfront wurde ihm zunächst langweilig. Er verabredete sich mit Kameraden zu angetrunkenen Spaziergängen zwischen den Frontlinien. Bald bekam er einen Streifschuss ab, Metallsplitter, einen Schuss durch die Brust, einen Kopfschuss – Momente, über die Jünger schrieb, es seien einige der wenigen, in denen er wirklich glücklich gewesen sei, weil der „Wille zu töten“ für ihn eine Konstante der Geschichte war. Mit Kriegsende kamen Angst, Trauer und Albträume. Jünger freundete sich mit dem Opium an und arbeitete an den Stahlgewittern. Manisch überarbeitete er seine Schilderungen, schrieb immer neue Versionen der Kriegstagebücher – wie Eves herausstellt, eine ideale Traumaverarbeitung, da sich Jünger dank des Opiums den Ereignissen gelassen nähern konnte. Jünger hatte ein neues Experimentierfeld entdeckt, das die Produktivität fördern sollte.
Geburtstagswünsche von Hofmann
Auf Kokain klappte das allerdings nicht mehr: „Zuweilen biß ich auf die Lippen wie ein Pferd … Das Gesicht war starr, gefroren, wie auf einer Kurierfahrt jenseits des Polarkreises.“ An Schreiben war nicht mehr zu denken. Schließlich, so skizziert Jünger in den Annäherungen weiter, fand er auf dem Dachboden der väterlichen Apotheke einen Topf mit Cannabis-Extrakt. Auf einer Zugfahrt genehmigte er sich eine Portion als „Süßigkeit zur Lektüre“: „Ich sprang auf, sah in den Spiegel und kannte mich nicht mehr. Das bleiche, im Lachen verzerrte Gesicht dort war stärker als das meine und mir feindlich gesinnt. Der plante Unheil.“
Jünger hatte vorerst genug. Seinen Eltern schrieb er: „Ich bin nun 25 Jahre alt geworden und habe beschlossen, mich etwas resoluter in die Hand zu nehmen. Ich bin reichlich zersplittert.“ 30 Jahre lang beschränkte er sich auf den Alkohol. Mittlerweile war er angesehener Veteran, im Ministerium der Reichswehr beschäftigt. Als Schriftsteller propagierte er das soldatische Erlebnis des Kampfes. Als Hitlers Vernichtungsmaschinerie Ende der dreißiger Jahre anlief, zog sich Jünger ins Private zurück. Im Zweiten Weltkrieg war er als Chronist in Frankreich.
Bereits im März 1947 erhielt Jünger Geburtstagswünsche von dem Schweizer Albert Hofmann, der seine Schriften gelesen hatte. Sie tauschten ihre Drogen-Erfahrungen aus. Jünger nahm das Experimentieren wieder auf. Im Januar 1950 durchlebte er zusammen mit seinem Verleger Ernst Klett einen zwölf Stunden langen Meskalin-Trip. Erstaunt notierte Jünger hinterher: „Wie kann sich die Welt gewaltig ausdehnen! Mehr als ein paar hundert Jahr. Nein, es ist Steinkohlezeit mit Fischen und Sauriern.“
Zurück in die Schöpfung
Ein Jahr später traf er sich mit Hofmann, um LSD auszuprobieren. Hofmann, so ist in Hagenbachs und Werthmüllers Buch nachzulesen, war besonders interessiert daran, wie ein „sensibler“ Mensch wie Jünger auf sein Mutterkornalkaloid reagieren werde. Er hatte für den ersten Versuch eine niedrige Dosierung gewählt. Das „mächtige Walten des Lichts“, schrieb Jünger danach, sei „der beste Gärtner … Er will, daß die Welt Bild werde. Dann ruht auch die Zeit.“ Doch beide, Jünger und Hofmann, waren sich einig, dass es noch mehr knallen musste.
Als Nächstes war Psilocybin an der Reihe. Wie die Azteken zuvor Kakao zu sich nahmen, genehmigten sich Jünger und Hofmann eine heiße Schokolade. Dann nahm jeder 20 mg der Pilze ein, mit „dumpfem, modrigem Geschmack“. Doch statt Licht herrschte Schatten – Hofmann schrieb: „Die völlige Leere drohte mich ins absolute Nichts hinabzuziehen … Todesangst erfaßte mich und unendliche Sehnsucht, in die lebendige Schöpfung zurückzukehren.“
Ende der sechziger Jahre begann Jünger in Rom mit den Aufzeichnungen von Annäherungen: Drogen und Rausch. Das Buch hatte an der neuen kritischen Jünger-Rezeption der späten sechziger und siebziger Jahre nichts geändert, es wurde kaum wahrgenommen. Das Desinteresse beruhte auf Gegenseitigkeit: Jünger hielt nicht viel von Hippies – der Drogenkonsum, den er sich vorstellte, war der einer elitären Priesterschaft und keiner für die Massen.
Voraussage
Mit dem Buch wollte er nun an die „Grundmacht des Daseins“: die Zeit. Drogen beeinflussen das Zeitempfinden auf zweierlei Weise, schreibt er: „Je nachdem, ob wir uns betäuben oder stimulieren, dehnen oder komprimieren wir die Zeit.“
Noch mit 91 Jahren schrieb Jünger in sein Tagebuch: „Im 21. Jahrhundert wird der Drogenkonsum noch zunehmen. … Während der Herrschaft der ,Eisernen‘ wächst die Sehnsucht nach dem zeitlosen Sein.“ Während Hofmann durchaus der Ansicht war, dass Fragen des Glücks auch an anderer Stelle gelöst werden müssten – der Großteil der menschlichen Tragödie bestand für Hofmann in den auf Eigentum gründenden Machtverhältnissen, wie er in einem späten Essay schrieb –, baute Jünger weiter auf die Auflösung aller Antagonismen in der Brust des Individuums. Er hatte sein gesamtes Leben hindurch keinen Riss zwischen sich und der Welt ertragen.
Hintergrund
Jüngers Drogenerfahrungen Michael Anthony Eves Books on demand 2011, 496 S., 34,90 €
Albert Hofmann und sein LSD Dieter Hagenbach und Lucius Werthmüller AT Verlag 2011, 406 S., 34,90 €
Sebastian Dörfler bloggt unter anderem über Popkultur auf sebastian-doerfler.de
We aspire to an objective, practical understanding of Ernst Jünger's life and works, and encourage other seekers of freedom and self-realisation to join us. Jünger's insights can function as a valuable roadmap to freedom and meaning for individuals in today's social and spiritual landscape. Crucial is his figure of the autonomous and inwardly-free anarch (in contrast to the impotent and self-destructive anarchist) as presented in his important novel EUMESWIL.
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