April 10, 2012

Der kosmische Ernst Jünger

Hier ein Text über "Auf der Marmorklippen" - ich finde ihn sehr lesenswert, auch für seine Betrachtungen über unsere eigenen Lage. Und ich bedanke mich für den Hinweis bei dem Verfasser, Philippe Guichard....

Der kosmische Ernst Jünger.


  
In "Auf den Marmorklippen" erinnert die Prosa von Ernst Jünger an die "Illuminationen" des Arthur Rimbaud. Es sind Sätze eines "Sehers", die eine wohl geordnete Traumlandschaft schöpfen. Das Buch stammt aus dem Jahr 1939. Die Tagebücher zwischen 1941 bis 1945 veröffentlichte Jünger unter dem Titel "Strahlungen", ein technisches Wort, das sein kosmisches Wesen aufs Schärfste trifft. 

"Auf den Marmorklippen" beschreibt eine Idylle, die Zeiten an der "großen Marina", einer Weingegend, in der die Seele im Herbst die Frucht der Körperarbeit erntet: "wenn in den kleinen Städten und Dörfern die Torkel zu knarren begannen und der Geruch der frischen Trester um die Höfe seine gärenden Schleier zog, stiegen wir zu den Wirten, den Küfern und Weinbauern hinab und tranken mit ihnen aus dem bauchigen Krug." Im Frühling findet sich die Harmonie auf dem Marktplatz im Fackelschein beim Maskenaufzug wieder: "die Männer gingen als Vögel und die Frauen waren in Prachtgewänder vergangener Jahrhunderte vermummt. Sie riefen uns mit hoher, verstellter Spieluhrstimme Scherzworte zu, und wir erwiderten mit schrillem Vogelschrei."   

Dabei bilden diese Sternstunden des dörflichen Lebens nur eine wenige Seiten lange Eröffnung. Das höhere Glück, das der Erzähler mit seinem Gefährten Bruder Otho erlebt, fängt hinter dem "Hahnentor" der kleinen Stadt, auf dem Rückweg zur "Rautenklause" ihrem Nest an den Marmorklippen an: "Dann schien es uns, als ob ein neuer Sinn, das Land zu schauen, uns verliehen sei; wir blickten wie mit Augen, denen es gegeben ist, das Gold und die Kristalle tief unter der gläsernen Erde in leuchtenden Adern zu sehen." 

Die beiden Einsiedler widmen sich der Pflanzenkunde in dieser Klause "am Rand der Marmorklippen, inmitten einer der Felseninseln, wie man sie hier und dort das Rebenland durchbrechen sieht." Angedeutet werden vergangene Schlachten, an denen sie teilnahmen,"um [ihre] Lehenspflicht zu leisten" und die den Weg für ihre Zurückgezogenheit ebneten.   Sie teilen die Behausung mit Erio, dem Sohn des Erzählers und Lampusa, der Großmutter des kleinen Jungens, dessen Tochter Silvia "mit fremdem Volk davongegangen ist". Die drei Generationen bilden den menschlichen, pflichtbewußten Teil der Gemeinschaft, die sich aber nicht auf diese Lebewesen reduzieren lässt.  Das Studium beträgt eine Archivarbeit, die im behaglichen Herbarium beheimatet ist, doch nur eine Glastür trennt den Garten von der Bibliothek, "an dessen Decke grüne, laubige Schatten spielten und in dessen Stille das Zirpen der jungen Vögel und das nahe Summen der Bienen drang." Die Arbeit am Tisch mit den Folianten und Registern führt zu einem realen Miteinander der Wesen, wie die Liebe zum Kind. Der Klausengarten ruft den Paradiesgarten in Erinnerung, in den die Tiere geladen wurden, um von Adam und Eva ihre Namen zu erhalten. So spielen auch die Lanzenottern eine wichtige Rolle, sowohl mysteriöse als auch vertraute Erscheinungen: "Stets aber gingen wir mit unseren Gästen auf dem Schlangenpfade Hand in Hand; und oft bemerkte ich dabei, daß ein Gefühl der Freiheit und der tänzerischen Sicherheit, das uns auf dieser Bahn ergriff, sich ihnen mitzuteilen schien."  

Die Pflanzenkunde ist der Ausgangspunkt, eine Methode, um in die Haut des Schöpfers zu schlüpfen: "wir schrieben in leichten Metren drei, vier Sätze auf ein Zettelchen. [...] Auf diese Weise beschrieben wir die Dinge und die Verwandlungen, vom Sandkorn bis zur Marmorklippe und von der flüchtigen Sekunde bis zur Jahreszeit. Am Abend steckten wir uns diese Zettel zu, und wenn wir sie gelesen hatten, verbrannten wir sie im Kamin." Die schöpferische Tätigkeit erschöpft sich nicht im Werk, sondern wirkt sich im Leben wie Dünger aus. Es verändert sogar die räumliche Wahrnehmung, insbesondere in Bezug auf die Gefahren, die die Idylle bedrohen."Vor allem aber setzten wir unsere Arbeit an der Sprache fort, denn wir erkannten im Wort die Zauberklinge, vor deren Strahle die Tyrannenmacht erblaßt. Dreieinig sind das Wort, die Freiheit und der Geist.".




"Auf den Marmorklippen" ist eine Parabel, in der die Gesellschaftsordnung in Gebieten aufgeteilt ist. Ich habe schon die Weindörfer an der "Marina" erwähnt, wo Arbeiter, Handwerker und ein angedeutetes Bürgertum leben, in einer Landschaft geprägt von Burgen und Klostern, unter anderem das der Maria Lunaris, in dem die beiden Gefährten den Christenmönch Pater Lampros besuchen. Über den Marmorklippen breitet sich die "Campagna" aus, eine Weidesteppe, das Reich der Hirten, die zugleich als nomades Kriegervolk beschrieben werden. Die Weidengründe trennt ein Sumpfgebiet von dem Wald, in dem der Oberförster herrscht und diese Ordnung aus Krieger, Mönch und Bürger zu zerstören droht: "Auch liebte der Oberförster weder Bauernhöfe noch Dichterklausen noch irgendein Ort, wo man besonnen tätig war."

Zwar verkörpert die Figur des Oberförsters das Böse an sich, doch der Erzähler porträtiert ihn nicht als fremdes Ungeheuer, sondern wie einen alten Bekannten. In der Tat gehört er zum "geheimen Orden" der Mauretanier, mit dem auch der Erzähler auf den Irrwegen der Gewalt in Berührung kam. Die beiden kannten sich. So ist er in der Lage die Art und die Augen des Oberförsters mit dem gleichen Genuß wie die Zunge einer beobachteten Blume zu beschreiben. In seinen Pariser Kriegstagebücher formuliert Jünger den Wunsch, sich in eine Hummel zu verwandeln, um in die duftenden Kelche ganz eindringen zu können. Die Erkenntnis fordert wohl, voll und ganz in das Böse geraten zu sein: "Wenn man in den Abgrund stürzt, soll man die Dinge mit dem letzten Grad der Klarheit wie durch überschärfte Gläser sehen. Diesen Blick, doch ohne Furcht, gewann man in der Luft der Mauretania, die von Grund auf böse war."    

Das Buch wurde damals als verschlüsselte Kritik des Hitler-Regimes verstanden, dabei ähnelt die Machtausübung der Mauretania vielmehr an zeitgenössische Formen der Herrschaft: "Besonders seltsam war es für den Neuling, wenn er in ihren Räumen Angehörige von Gruppen, die sich tödlich haßten, im friedlichen Gespräche sah. Zu den Zielen ihrer Köpfe zählte die artistische Behandlung der Geschäfte dieser Welt. Sie verlangten, daß die Macht ganz ohne Leidenschaft und göttergleich gehandhabt würde."  Bei diesen Worten muss ich an das Spiel der Parteien in unserer "Demokratie" denken. Sie vertreten angeblich andere Sichtweisen, streiten sich auf den Fernsehbühnen und feiern trotzdem jedes Jahr gemeinsam auf dem Presseball. Ferner kommen mir auch die "Bilderberg-Konferenzen" in den Sinn, die hinter verschlossenen Türen Politiker, Industrie- und Presseakteure aus der ganzen Welt und aus entgegengesetzten Lagern zusammenbringen. "Ganz ohne Leidenschaft", als Techniker und Schauspieler, die Macht der Macht wegen, ohne Rücksicht auf das vertretene Volk ausüben: das könnte eine Definition des modernen Politikers sein. Auch die Methoden des Oberförsters, um die Macht über das Land, erinnern an zeitgenössiche Kriegsführung: "Man hatte den Eindruck, daß in die Sippenbünde aus den Wäldern Späher und Agenten eingedrungen waren, um sich ihrer zu fremden Diensten zu bemächtigen." Sehr genau kommt der Rutsch in Bürgerkriegszustände zum Vorschein. Durch rohe Gewalt werden die Hirtenbünde der Campagna zerrissen und gleichzeitig unterwandern Mauretanier die Ämter, Magistrate und Kloster.  

Was den Oberförster von den Mauretaniern und von den aktuellen Machthabern wiederum unterscheidet (er wird zwar als Mitglied, aber auch als Einzelgänger innerhalb des Ordens beschrieben), ist seine despotische Macht, seine offensichtliche Herrschaft. Während er das Denken und die Kunst verachtet, sähen die Demokratien Krieg im Namen der Freiheit und der Menschenrechte ... Da ist der Oberförster ehrlicher: "Ihm ging erst das Herz auf, wenn auf den Trümmern der Städte Moos und Efeu grünten und wenn in den geborstenen Kreuzgewölben der Dome die Fledermaus im Mondschein flatterte."  

In "Auf den Marmorklippen" ist die Position Ernst Jüngers eindeutig. Als Schrifsteller verachtet er die Kräfte der Vernichtung nicht, sondern beschreibt deren mächtige"Strahlungen" mit neugierigen Augen. Er deutet lediglich die Notwendigkeit an, sich in den Nihilismus einzunisten, um ihn zu begreifen und auszudrücken. Doch der Erzähler schließt sich mit dem Pater Lampros und dem Hirten Belovar zusammen, um den Oberförster mit Waffen zu bekämpfen. Somit entscheidet er sich, "in aller Zukunft lieber mit den Freien einsam zu fallen, als mit den Knechten in Triumph zu gehen."                                  

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